Nicht abgerechnete Stromlieferungen in der Grundversorgung verjähren nicht

Nicht abgerechnete Stromlieferungen in der Grundversorgung verjähren nicht

BGH, Urt. v. 17. Juli 2019 – VIII ZR 224/18

Rechnet der Grundversorger seine Stromlieferung nicht ab, kann er diese Forderung auch noch Jahre später geltend machen, sie verjährt nicht. Die 6-wöchige Abrechnungspflicht aus § 40 Abs. 4 EnWG hat insoweit keine Auswirkung. Entscheidend ist die Regelung des § 17 Abs. 1 StromGVV, die die Fälligkeit und damit den Beginn der Verjährungsfrist an den Zugang der Rechnung knüpft und nicht an die Einhaltung von Abrechnungsfristen.

Fälligkeit der Stromrechnung

Nach ständiger Rspr. des BGH beginnt die Verjährungsfrist nur dann zu laufen, wenn der Anspruch entstanden ist, er also klageweise geltend gemacht werden kann. Dies ist mit Eintritt der Fälligkeit der Fall.
In der Grundversorgung enthält § 17 Abs. 1 StromGVV hierzu eine klare Regelung. Danach ist die Entgeltforderung kraft Gesetzes frühestens zwei Wochen nach Zugang einer Zahlungsaufforderung fällig. Entsprechend beginnt die Verjährungsfrist frühestens zwei Wochen nach Zugang der Rechnung zu laufen. Rechnet demnach der Energieversorger nicht ab, kann auch keine Rechnug zugehen, so dass die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnt.
Mangels besonderer Regelungen gilt für Energieversorgungsverträge die regelmäßige 3-jährige Verjährung der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Verjährungsbeginn

Vorverlegung der Fälligkeit durch § 40 Abs. 4 EnWG

Die Fälligkeit kann auch nicht auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegt werden, weil die Abrechnungsfrist des § 40 Abs. 4 EnWG nicht eingehalten wurde. § 40 Abs. 4 EnWG trifft – auch über den Vereis in § 12 Abs. 1 StromGVV – keine Regelung zur Fälligkeit der Vergütungsforderung. Diese Aufgabe kommt einzig § 17 Abs. 1 StromGVV zu. Weder die Vorschriften des EnWG noch der StromGVV sehen für den Fall, dass die Abrechnungsfrist nicht eingehalten wird, eine Ausschlussfrist vor (so aber beispielsweise § 556 Abs. 3 S. 3 BGB für die Betriebskostenabrechnung des Vermieters). Auch existiert keine Regelung, nach der bei Nichteinhalten der Abrechnungsfrist der Zeitpunkt der Fälligkeit auf den Zeitpunkt vorgezogen wird, in dem die Abrechnung spätestens hätte erteilt werden müssen.

Verstoß gegen die Abrechnungspflicht des § 40 Abs. 4 EnWG

Ein Verstoß gegen § 40 Abs. 4 EnWG wird ausschließlich über Sanktionen der Regulierungsbehörde nach § 65 EnWG geahndet. Der Stromkunde selber kann bei nicht rechtzeitiger Erteilung der Rechnung die Zahlung der Abschläge nach § 273 BGB verweigern oder Schadensersatz geltend machen.
Dass der Energieversorger durch die Rechnungsstellung den Verjährungsbeginn beeinflussen und hinausschieben kann, nimmt nach Ansicht des BGH das Gesetz hin. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Rechte des Energiekunden sieht er hierdurch nicht, weil der Energieversorger regelmäßig kein Interesse daran haben wird, die Fälligkeit seines Anspruchs und damit die Durchsetzbarkeit bewusst hinauszuzögern. Die Fälle, in denen der BGH die Rechnungsstellung unterlässt, will der BGH sodann über § 242 BGB, insbesondere über die Verwirkung lösen.

Anmerkung

Mit seinem Urteil vom 17. Juli 2019 hat der BGH seine Rspr. aus dem Jahr 1986 bestätigt:

BGH, Urt. v. 22. Oktober 1986 – VIII ZR 242/85

In dem Fall ging es um eine Entgeltforderung aus Gaslieferung, die aufgrund eines Versäumnisses des Energieversorgers erstmalig 5 Jahre nach Aufnahme der Belieferung abgerechnet wurde. Bereits damals, basierend auf der alten AVBGasV, hat der BGH festgestellt, dass die Verjährung von Entgeltforderungen aus Gaslieferungen keinen besonderen Regelungen unterliegt, sondern sich nach den allgemeinen Vorschriften des BGB richtet. Maßgebend für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist sei die Fälligkeit, die nach § 27 Abs. 1 AVBGas (heute § 17 Abs. 2 Strom-/GasGVV) erst durch die Rechnungsstellung eintrat.

Aufschieben der Fälligkeit

Die Fälligkeit wurde nicht durch § 21 Abs. 2 AVBGas (heute § 18 Abs. 2 Strom-/GasGVV) ausgeschoben. Die Norm regelt den Umgang mit nachträglich entdeckten Messfehlern und deswegen erforderlich werdenden Rechnungskorrekturen. Auf Fälle, in denen überhaupt keine Rechnung erteilt wurde, ist sie nicht anwendbar.

Auch die Anordnung in § 24 Abs. 1 AVBGas (heute § 12 Abs. 1 Strom-/GasGVV iVm. § 40 Abs. 3 EnWG), wonach die Gaslieferung in bestimmten Intervallen abgerechnet werden muss, änderte nichts an dem Umstand, dass die Verjährungsfrist erst mit der Fälligkeit der Forderung zu laufen beginnt. Auch damals vertrat der BGH bereits die Ansicht, dass es hinzunehmen sei, wenn die Fälligkeit von einem zeitlich unbestimmten und unbestimmbaren Ereignis – etwa, der Handlung eines Vertragspartners – abhängig ist und ein Vertragspartner damit auf den Beginn der Verjährungsfrist Einfluss nehmen könne.

Fazit

Sowohl für Forderungen aus Strom- als auch aus Gaslieferungen dürfte nach dem jetzigen Urteil des BGH unzweifelhaft sein, dass die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn dem Energiekunden die Abrechnung der gelieferten Energiemengen zugegangen ist. Der Umstand, dass der Energielieferant gem. § 40 Abs. 4 EnWG verpflichtet ist, die gelieferten Mengen binnen einer 6-Wochen-Frist abzurechnen, spielt ebenso wenig eine Rolle, wie die Tatsache, dass der Energielieferant zur Abrechnung innerhalb bestimmter gesetzlich vorgegebener Intervalle verpflichtet ist (§ 40 Abs. 3 EnWG). Der Zeitpunkt der Fälligkeit wird durch diese Regeln nicht vorgezogen. Vereitelt der Energieversorger treuwidrig den Rechnungszugang, kommt allenfalls eine Lösung nach § 242 BGB, insbesondere wegen Verwirkung, in Betracht.

Siehe auch: